Bezeichnung | Inhalt |
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Sitzung: | 24.09.2019 BWUA/058/2019 |
Dokumenttyp | Bezeichnung | Aktionen |
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Der Bauantrag wurde
vom Vertreter der Verwaltung vorgestellt und erläutert.
Gegenstand des
Bauantrags ist die Errichtung eines Carports für 10 Pkws mit Änderung der
Dachkonstruktion für den Büroanbau auf dem Grundstück Fl.Nr. 5/0 der Gemarkung
Nettelkofen, Anwesen Nettelkofen 23.
Der Bauantrag ist
inhaltlicher Bestandteil des bereits seit über 3 Jahren anhängigen Antrags zur
Änderung der Baugenehmigung vom 30.09.1996, Az. 96000417A / 05.05.1997 G96/417,
über die Errichtung einer LKW-Einstellhalle. Mit dieser Baugenehmigung wurde
die Vergrößerung des dort sukzessiven entstandenen Fuhrunternehmens durch eine
Abstellhalle für 10 LKWs und Lagerflächen zugelassen.
Wesentlicher Inhalt
der bestehenden Baugenehmigung sind:
-
Betriebszeiten
nur in der Tageszeit (06:00 bis 22:00 Uhr)
-
keine
LKW-Abstellplätze im Außenbereich
-
Reduzierter
Immissionsrichtwert von tagsüber 57 dB(A) und nachts 42 dB(A) für die
Beurteilungspegel der vom Gesamtbetrieb ausgehenden Geräusche
Mit dem
Änderungsantrag vom 21.12.2015 wurde dann die nachträgliche Genehmigung des
zwischenzeitlich deutlich vergrößerten Betriebes (18 LKWs, insbesondere auch
der nachträglich errichteten Abstellplätze im Freien) und der geänderten
Betriebsabläufe (insbesondere auch mit Nachtbetrieb) begehrt. Über diesen
Antrag ist seither noch nicht entschieden, da zur Sicherstellung der Genehmigungsvoraussetzungen
der Betriebsablauf noch in Anpassung an die immissionsschutzrechtlichen
Anforderungen entwickelt werden musste und auch weitere bauliche/technische
Schutzvorkehrungen notwendig sind. Ein wesentlicher Teil ist die
schalltechnische Einhausung der PKW-Stellplätze südlich der LKW-Halle gegenüber
dem westlichen Nachbargrundstück.
Der vorliegende
Antrag ist ein unselbständiger Teil eines einheitlichen Vorhabens. Aufgrund der
vorzunehmenden Gesamtbetriebsbetrachtung damit inhaltlicher Bestandteil des
Änderungsantrages vom 21.12.2015. Gleichzeitig ist auch im
Immissionsschutzrecht stets auf die Gesamtlärmbelastung abzustellen, also nicht
nur auf einzelne Anlagenteile. Folglich ist hinsichtlich der Vorhabenszulassung
nicht nur das (Teil-)Vorhaben Carport, sondern die Zulässigkeit des einheitlich
auszuführenden Gesamtvorhabens zu prüfen.
Art der baulichen Nutzung:
Nettelkofen hat zum
Zeitpunkt der Baugenehmigung (1996) die Ortsteileigenschaften des § 34 BauGB
noch nicht erfüllt und war damals als Siedlungssplitter insgesamt dem
bauplanungsrechtlichen Außenbereich zugehörig. Der Speditionsbetrieb wurde
damals als sonstiges Außenbereichsvorhaben gemäß § 35 Abs. 2 BauGB genehmigt.
Dem lag eine gesonderte Änderung des Flächennutzungsplanes (7. Änderung) zu
Grunde, in der unter anderem auch das Baugrundstück als Baugebiet (Dorfgebiet)
dargestellt wurde. Aufgrund des Ergebnisses der Abwägungsentscheidung in einem
„vorhabenbezogenen“ Flächennutzungsplanänderungsverfahren war eine
Beeinträchtigung von öffentlichen Belangen (§ 35 Abs. 3 BauGB), die dem
Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB entgegenzuhalten wären, nicht mehr zu erkennen
(vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, Rn. 76 zu § 35 BauGB). Insbesondere war auch
das Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen (§ 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB) nicht zu
erwarten, da die Baugenehmigung die Lärmverträglichkeit für ein Dorfgebiet
(dieser Schutzanspruch wird auch dem Außenbereich zugemessen) durch
entsprechende Nebenbestimmungen sichergestellt hat.
Die Baugenehmigung
1996 hat Bestandskraft erlangt und das Vorhaben wurde dann auch ausgeführt. Die
in der Folge der Flächennutzungsplanänderungen entstandenen Gebäude haben
schließlich auch zu einer Änderung der Bereichsqualität geführt. Mit deren
Realisierung hat die Ortschaft Nettelkofen dann Ortsteilqualität im Sinne des §
34 BauGB erlangt. Auch das Baugrundstück selbst ist danach dem Innenbereich
zuzuordnen, dessen nördliche Grenze jedenfalls der Seeoner (topographische
Grenzziehung) bildet. Dem Flächennutzungsplan kommt im Innenbereich keine
unmittelbare Rechtswirkung mehr zu, was insbesondere auch hinsichtlich der
Grenzen der dort dargestellten Bauflächen bzw. den anschließenden Grünflächen
gilt.
Der somit in
zulässiger Weise entstandene Speditionsbetrieb hat aber dazu geführt, dass die
Eigenart der näheren Umgebung bei der jetzt vorzunehmenden Einfügungsprüfung
nicht mehr einem Dorfgebiet entspricht. Speditionsbetriebe stellen aufgrund
ihrer Störwirkung regelmäßig „wesentlich störende Gewerbebetriebe“ dar und sind
somit in Dorfgebieten nicht mehr zulässig (vgl. BVerwG 06.06.2019, BayVGH
29.03.2010 – Fuhrunternehmen mit 10 LKWs). Die Feststellungswirkung der
Baugenehmigung aus dem Jahre 1996 über die Zulassung der dortigen Einstellhalle
mit 10 LKW-Abstellplätzen hat somit zur Folge, dass sich die nähere Umgebung
nicht zu einem Dorfgebiet entwickelt hat. Vielmehr ist eine (Klein-)Gemengelage
entstanden.
Die Zulässigkeit
des Speditionsbetriebes in dem geänderten Betriebsumfang bestimmt sich damit
nach § 34 Abs. 1 BauGB. Dort fügt sich ein Vorhaben hinsichtlich der Art
der baulichen Nutzung dann ein, wenn es dem Rahmen der bereits tatsächlich
vorhandenen Nutzungsarten entspricht. Hier ist auf die von der BauNVO
entwickelten typisierten Nutzungsarten zurückzugreifen. Maßgeblich ist hier
wiederum, dass mit dem bestehenden Speditionsbetrieb ein „nicht erheblich
belästigender Gewerbebetrieb“ bereits tatsächlich vorhanden ist. Auf eine
weitere Differenzierung nach der konkreten Größe und des Umfangs bzw. des
Betriebsgeschehens kommt es an dieser Stelle nicht an. Auch ein (seltener)
Ausnahmefall von der hier anzustellenden „typisierenden Betrachtungsweise“ der Nutzungsart
liegt nicht vor, da keine gravierenden Differenzierungsmerkmale gegenüber dem
„typischen“ Erscheinungsbild eines wesentlich störenden Gewerbebetriebes
(BayVGH 23.03.2010) bestehen.
Der vom BVerwG
jetzt mit Urteil vom 06.06.2019 entwickelte Leitsatz, dass ein bereits
verwirklichtes Vorhaben bei der Bestimmung der Umgebungsbebauung außer Acht
bleiben muss, wenn es selbst Gegenstand der Baugenehmigung ist, steht dieser
Sichtweise nicht entgegen. Der hier gegenständliche Speditionsbetrieb hat nicht
erst mit der jetzt beantragten Erweiterung die Schwelle der „wesentlichen
Störung“ überschritten, sondern bereits mit der Realisierung der
bestandskräftigen Baugenehmigung aus Jahr 1996. Die Gemengelage liegt also zum
Entscheidungszeitpunkt schon vor.
Die beantragte
Änderung (Erweiterung) des Speditionsbetriebes einschließlich des dazugehörigen
Carports ist damit hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung gemäß § 34 Abs. 1
BauGB grundsätzlich zulässig (gebietsverträglich). Grenzen ergeben sich aber aus
dem Gebot der Rücksichtnahme, dem in
der hier vorliegenden Gemengelage im Nebeneinander mit Wohngebäuden besondere
Bedeutung zukommt.
Hinsichtlich des
Gebots der Rücksichtnahme und der dafür maßgeblichen Beurteilung der
Zumutbarkeitsgrenze für die Lärmimmissionen ergeben sich hinsichtlich der
vorgefundenen Gemengelage keine grundlegend anderen Folgen als im Dorfgebiet.
Auch in Gemengelagen und den dort zu bildenden Zwischenwerten sollen die
Dorfgebietsrichtwerte nicht überschritten werden (Nr. 6.7 TA-Lärm).
Geringfügige Überschreitungen wären aber noch als verträglich anzusehen,
insbesondere bei seltenen Spitzenpegelbelastungen.
Hier wurde in über
3 Jahren und mit 6 verschiedenen Lärmgutachten und unter Klärung streitiger
rechtlicher Grundsatzfragen jetzt ein Betriebsgeschehen entwickelt, das die
Einhaltung der Immissionsrichtwerte der TA-Lärm an allen relevanten
Immissionsorten sicherstellt und deren Baugenehmigung auch vollziehbar und
überwachbar ist (BVerwG 03.01.1973, BayVGH 14.08.2008).
Vom Betriebslärm
besonders stark betroffen ist das Grundstück Fl.Nr. 7 (westliches
Nachbargrundstück). Unmittelbar an der Grenze liegen dort die LKW-Abstellplätze
im Norden und die PKW-Abstellplätze im Süden. Diese führen gerade in der
Nachtzeit zu Überschreitungen der Immissionsrichtwerte und der
Spitzenpegelbelastung.
Hier würde das
Rücksichtnahmegebot offenkundig verletzen mit der Folge der Unzulässigkeit. Die
in den ursprünglichen Lärmgutachten aufgezeigte Lösung, erst im Fall einer
tatsächlichen Bebauung mit schutzbedürftigen Aufenthaltsräumen an diesen
Immissionsorten dann zusätzlich Schutzmaßnahmen (Bericht vom 20.03.2015, Ziffer
4.2) zu errichten, kann nicht gefolgt werden. Da nach A.1.3
TA-Lärm auch unbebaute, aber mit schutzwürdiger Nutzung bebaubare Grundstücksflächen,
bereits als maßgeblicher Immissionsort gelten, würde diese aufschiebende
Bedingung den Anforderungen an die Rechtmäßigkeit des Baugenehmigungsverfahrens
nicht gerecht werden.
Für den nördlichen
Grundstücksbereich der Fl.Nr. 7 konnte der Lärmkonflikt durch eine
grundstücksrechtliche (dingliche) Regelung über den Ausschluss von relevanten
Immissionsorten (vgl. BVerwG 28.04.1978, 23.01.2002) gelöst werden. Das gilt
aber nicht für den südlichen Grundstücksbereich der Fl.Nr. 7 unmittelbar neben
den Stellplätzen (zwischen Halle und Wohnhaus). Hier sind Schutzmaßnahmen durch
eine Abschirmung gegenüber dem Nachbargrundstück) notwendig (oder alternativ
die Verlegung der Stellplätze). Antragsgegenstand ist jetzt die Lärmabschirmung
der Stellplätze in Form eines an der Westseite geschlossenen Carports.
Gemäß dem
schalltechnischen Nachweis (Fa. Steger & Partner GmbH, München, Bericht-Nr.
4636/N2plu, vom 16.07.2019) werden durch die Gesamtlärmbelastung des
Speditionsbetriebes mit einem an der Westseite geschlossenen Carport sogar die
reduzierten Immissionswerte (57 dB(A) und 42 dB(A) auf dem Grundstück Fl.Nr. 7
der Gemarkung Nettelkofen gesichert eingehalten. Der Nachweis ist auch für die
übrigen relevanten Immissionsorte und damit für die anzustellende Gesamtbetrachtung
der Immissionsbelastung (Gesamtbetrieb) erbracht.
Der Gesamtbetrieb
in der mit dem Carport beantragten Form entspricht damit dem Gebot der
Rücksichtnahme und fügt sich hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nach §
34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein.
Maß der baulichen Nutzung; Bauweise:
Geplant ist die
Errichtung der Stellplatzüberdachung zwischen dem eingeschossigen
Bürogebäudeteil im Süden und der LKW-Halle im Norden. Der Carport hat eine
Länge von 28,37 m. Er ist mit einer Gesamttiefe der Überdachung von 6,22 m
geplant und einem Grenzabstand von 3 m.
Weiter soll er ein
Pultdach mit einer Wandhöhe von 2,70 m bzw. 3,70 m erhalten. Die
Abstandsflächen zum Nachbarn mit der Fl.Nr. 7/4 der Gemarkung Nettelkofen von
3,0 wird eingehalten.
Das Vorhaben
schafft eine bauliche Verbindung zwischen dem Wohn-/Bürogebäude und der
LKW-Halle. Damit entsteht eine Gesamtgrundfläche von 1.475 m². Die Eigenart der
Umgebung ist geprägt von sehr großen landwirtschaftlichen Gebäuden, die bei
Bestimmung des Einfügungsrahmens nach § 34 Abs. 1 BauGB prägend wirken. So
weist auch das Nachbaranwesen Nettelkofen 15 eine Gesamtgrundfläche von 1.515
m² auf. Das mit dem beantragten Carport entstehende Gesamtvorhaben entspricht
auch hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung dem Einfügungsgebot.
Gleiches gilt für
die Bauweise, da mit der baulichen Verbindung ein mehr als 50 m langes
Gesamtgebäude (Blickwinkel: entlang der Verkehrsflächen) entsteht. Gebäude über
50 m sind aber nur in der geschlossenen Bauweise zulässig (vgl. Rechtsgrundsatz
des § 22 Abs. 2 BauNVO). Aber auch hier ist die Umgebung durch bestehende
Vorhaben mit über 50 m Länge geprägt (etwa beim Anwesen Nettelkofen 28) bereits
mit dieser Bauweise geprägt.
Die absolute Länge eines
Gebäudes selbst ist ansonsten kein Einfügungsmerkmal (BVerwG 08.12.2016, Rn.
22).
Die
Dachgestaltungssatzung der Stadt Grafing b.M. bestimmt auch für Nettelkofen das
Satteldach als zulässige Dachform. § 3 der Dachgestaltungssatzung enthält einen
Ausnahmevorbehalt für Nebengebäude und für Garagen (ein Carport stellt eine
offene Garage dar). Die entsprechende Abweichung wird erteilt, da für das in
Höhe und Funktion deutlich von den übrigen Gebäuden (Hauptgebäude) abgesetzte
Vorhaben nicht nachteilig auf die Dachgestaltung wirkt. Auch im Umfeld sind
bereits Nebengebäude dieser Größe mit Pultdach vorhanden (vgl. Brennholzlager
beim Anwesen Nettelkofen 24).
In der
ausführlichen Beratung wurde von
verschiedenen Ausschussmitgliedern berichtet, dass aus der Nachbarschaft
erhebliche Beschwerden vorgebracht werden über das unzumutbare Lärmgeschehen
des Betriebes. Nach deren Vorbringen wird auch bewusst Lärm produziert - etwa
durch überlange Warmlaufphasen der LKWs, um die Nachbarschaft zu belästigen.
Wenn nun der Betrieb zugelassen wird, ist die Nachbarschaft diesen Störungen
schutzlos ausgesetzt. Nachdem hier offenbar über einen sehr langen Zeitraum
schon ein Betrieb in unzulässiger Weise geführt wird, bestehen Zweifel, ob die
notwendigen Einschränkungen einer nachträglich erteilen Baugenehmigung nicht
erneut missachtet werden. Aufgrund dieser Erfahrungen ist zum Schutz der
Nachbarschaft das Vorhaben abzulehnen.
Seitens der
Verwaltung wurde erklärt, dass eine antragsgebundene Entscheidung zu treffen
ist. Mutmaßungen und Ahnungen über ein mögliches Abweichen von der Genehmigung
berechtigen nicht dazu, ein objektiv genehmigungsfähiges Vorhaben abzulehnen.
Etwas Anderes gilt nur dann, wenn sich eine andere als die beantragte Nutzung
zwingend aufdrängt. Das ist hier in keiner Weise erkennbar und kann auch nicht
aus dem rechtswidrigen Verhalten der vergangenen Jahre hergeleitet werden. Wenn
jetzt für ein bisher in rechtswidriger Weise ausgeübtes Vorhaben ein Bauantrag
vorgelegt wird, dem keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen,
dann sind das gemeindliche Einvernehmen und dann auch die Baugenehmigung zu
erteilen. Dabei wurden auch im langjährigen Verfahren ein Betriebsablauf und ein
Betriebsgeschehen entwickelt, der jetzt die Genehmigungsvoraussetzung erfüllt
und auch überwachbar ist. Insbesondere die Warmlaufphasen können durch digitale
Fahrtenschreiber lückenlos erfasst und nachträglich überprüft werden.
Nach Vorstellung der geplanten Baumaßnahme
und ausführlicher Beratung beschloss der Bau-, Werk- und Umweltausschuss gegen
zwei Stimmen, den Bauantrag zur Errichtung eines Carports für 10 Fahrzeuge auf
dem Grundstück Fl.Nr. 5/0 der Gemarkung Nettelkofen, Nettelkofen 23, das
gemeindliche Einvernehmen gem. §36 BauGB zu erteilen.